Die Jerusalem-Entscheidung von Trump – ein Paradigmenwechsel in der Nahostpolitik

Kommentar

Mit der Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt wird US-Präsident Trump die internationale Nahostpolitik verändern. Die bisher geltenden Parameter zur Lösung des Konflikts wurden mit der Entscheidung aufgekündigt.

Trump und Pence beim Betreten des "Diplomatic Briefing Room" im Weißen Han Haus
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Trump und Pence vor der Verkündung: "Die gesamte bisherige Nahostpolitik mit einem Federstrich beendet"

Kurz nachdem Präsident Trump Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt hatte, passierten in Jerusalems Altstadt zwei Dinge: Die Stadt Jerusalem projizierte die amerikanische und israelische Flagge an die Stadtmauern der Altstadt und zur gleichen Zeit gingen die Lichter, die die Al-Aksa Mosche beleuchten, aus. Wie sich später herausstellte, war die Ursache für Letzteres ein Stromausfall. Dennoch spiegeln beide Ereignisse die Stimmung in Jerusalem recht treffend wieder: auf der einen Seite Euphorie, auf der anderen Verzweiflung.

Tatsächlich wird wohl kaum eine politische Entscheidung der letzten Jahre die internationale Nahostpolitik so verändern wie diese. Trump selbst sprach von einem “neuen Herangehen” an den Konflikt, was man wohl als große Untertreibung bezeichnen muss. 

Bisher galten für die internationale Nahostpolitik drei wichtige ungeschriebene Parameter: dass der Konflikt nur im Weg von Verhandlungen zu lösen ist, dass die USA die Einzigen sind, die einen solchen Frieden vermitteln könnten und dass die arabische Welt für eine Lösung auch mit an Bord sein muss. Alle drei Parameter hat Trump durch seine Entscheidung aufgekündigt und damit einen Paradigmenwechsel in der amerikanischen und damit auch der internationalen Nahost-Politik erklärt.

Jede Friedensinitiative zunichte gemacht

Es war bisher internationaler Konsens,  dass die im Nahostkonflikt zu regelnden Streitfragen  - Siedlungen und Grenzen, Sicherheit, Flüchtlingsrückkehr und Jerusalem – nur im Wege einer Verhandlungslösung gefunden werden sollen. Einseitige Schritte, sei es von den Konfliktparteien oder von Dritten, haben den Konflikt immer wieder in tiefe Krisen oder gar an den Abgrund geführt. Wie etwa nach dem einseitigen Rückzug Israels aus Gaza. Jetzt hat Trump mit dieser Haltung aller US-Regierungen zuvor gebrochen und für die USA durch die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels eine der kompliziertesten Streitfragen des Konfliktes einseitig zu Gunsten einer Konfliktpartei entschieden. Nicht ohne Grund hatte bisher kein Land der Welt in Jerusalem seine Botschaft, denn niemand erkennt damit die 1980 durch Israel erfolgte Annexion Jerusalems bisher an. Nach dem Konzept der Zwei–Staatenlösung, das bisher Grundlage aller internationalen Verhandlungen war, sollte West-Jerusalem Hauptstadt Israels und Ost-Jerusalem die Hauptstadt des noch zu gründenden palästinensischen Staates werden. Wenn die Amerikaner dem jetzt vorgreifen und sogar ganz Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennen, dann machen sie damit jede Friedensinitiative zunichte. Denn nicht nur die Palästinenser, sondern die gesamte arabische Welt, für die Jerusalem eine besondere Rolle spielt, werden neuen Verhandlungen kaum zustimmen, wenn Trump nun erklärt, dass es im Hinblick auf Jerusalem nichts mehr zu verhandeln gibt.

Ein neutraler „Broker“ gibt die wichtigsten Verhandlungspunkte nicht aus der Hand

Damit wird dann auch das zweite wichtige Nahost-Parameter abgeräumt – nämlich, dass die USA der einzige glaubwürdige Vermittler in Nahost sind, der beide Seiten an den Verhandlungstisch bringen kann. Die USA waren zwar immer schon stärker der israelischen Seite verbunden. Aber diese Entscheidung Trumps muss sie in den Augen der palästinensischen Seite endgültig als halbwegs „neutraler“ Friedensbroker disqualifizieren. Was sollen sie jetzt noch nach Verhandlungen „nach Hause bringen“? Das mögliche Staatsgebiet schrumpft immer mehr zusammen angesichts eines ständig voranschreitenden Siedlungsbaus, die C-Gebiete stehen möglicherweise kurz vor einer Annexion, Gaza ist an die Hamas verloren und das Rückkehrrecht verweigert die israelische Seite sowieso. Für eine Anerkennung Ost-Jerusalems als Hauptstadt eines palästinensischen Staates wären vor allem beim Rückkehrrecht vermutlich einige Kompromisse möglich gewesen. Aber die Anerkennung Jerusalems als ihre Hauptstadt hat die israelische Seite nun quasi umsonst bekommen – sie musste dafür nichts hergeben. Das zeigt, wie wenig ernst es Trump eigentlich mit seiner sog. Friedensinitiative war, denn ein wirklicher „Broker“ gibt die wichtigsten Verhandlungspunkte nicht ohne Gegenleistung aus der Hand.

Hinzu kommt, dass Ost-Jerusalem nicht nur für die Palästinenser ein zentrales Thema war, sondern für die gesamte arabische und muslimische Welt. Da die Al-Aksa Mosche das dritt-wichtigste Heiligtum des Islam ist, hat die Moschee für sie eine überragende religiöse und politische Bedeutung. Genauso wie Jerusalem für Juden und Christen eine herausragende Bedeutung spielt. Das jordanische Königshaus bewacht die heiligen Stätten durch die sogenannte Waqf-Behörde und hat mit Israel eine Sondervereinbarung. Auch deshalb saß die arabische Welt quasi immer mit am Tisch, wenn es um Jerusalem ging.  Und es war klar: Auch die arabische Welt musste mit an Bord sein, wenn es zu einem Friedensschluss kommen sollte. Auch mit diesem Parameter bricht Trump, wenn er nun ohne Rücksicht Jerusalem Israel zuspricht. Aus diesem Grund ist leider auch zu befürchten, dass es nicht nur in den palästinensischen Gebieten zu Gewalt kommt, sondern schlimmstenfalls  zu einem Aufruhr in der gesamten arabischen und muslimischen Welt.

Trumps Entscheidung ist rein innenpolitisch motiviert

Indem Trump die gesamte bisherige Nahostpolitik mit einem Federstrich beendet, macht er deutlich wie wenig ihn außenpolitische oder gar diplomatische Spielregeln interessieren und wie sehr seine Entscheidung innenpolitisch motiviert war. Trump wollte ein wichtiges Wahlversprechen einlösen, das er seiner rechten Wählerschaft, insbesondere den evangelikalen Christen gegeben hatte. Vor allem die Evangelikalen, die verlangen, dass Jerusalem in der Hand der Juden sein muss, hatten Trump zu 81 % gewählt. Vizepräsident Pence, der diesem Spektrum angehört, wird daher wohl in der nächsten Woche, wenn er vom 17. bis 19. Dezember den Nahen Osten besucht, als „Held“ in Jerusalem „einziehen“.

Auch auf der israelischen Rechten waren die Jubelschreie nach Trumps Entscheidung groß. Es scheint wie ein gelungener Cup zur rechten Zeit, um Premierminister Netanjahu nochmal aus der Bredouille zu retten, in die er durch die verschiedenen Korruptionsaffären gekommen ist. Dennoch könnte am Ende Netanjahu zu den Verlierern gehören. Denn, wenn es zu einer  Welle der Gewalt im Nahen Osten kommt, dann würde ihm das die Mehrheit der israelischen Gesellschaft sicher übel nehmen und die Verantwortung für die gesamte ganze Entscheidung am Ende bei ihm sehen.

Gefordert ist jetzt die internationale Gemeinschaft, allen voran die EU. Zum einen muss auch jetzt versucht werden, deeskalierend und mäßigend auf die arabische Welt und die Palästinenser einzuwirken. Aufrufe der Gewalt, wie sie nicht nur von der Hamas sondern, auch von der Fatah zu hören sind, antisemitische Angriffe gegen Juden in Berlin und anderswo sind durch nichts zu rechtfertigen und müssen verurteilt werden. Zum anderen wird aber über kurz oder lang ein neuer Vermittler notwendig  werden – falls es überhaupt nochmal zu einer Wiederaufnahme von Verhandlungen kommt. Hier könnte der EU eine neue, entscheidende Rolle zukommen – wenn sie sich dazu durchringen kann, mit einer Stimme gegenüber dem Nahen Osten aufzutreten. Die bittere Alternative wäre, dass man die Zwei-Staaten-Lösung zur friedlichen Regelung des Konfliktes zwischen Israelis und Palästinensern endgültig ad acta legen kann. Allerdings: Alles was danach kommt, ist leider nur besorgniserregend.

Mehr zum Thema: Interview mit Kerstin Müller in der Berliner Zeitung vom 6. Dezember 2017